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Selbstoptimierung – der heilige Gral der Unzulänglichkeit

Willkommen in der Ära der Selbstoptimierung! Einer Zeit, in der das bloße Dasein nicht mehr ausreicht. Du bist? Falsch. Du könntest besser sein! Du lebst? Suboptimal. Da geht noch was!



Die Krankheit, die sich als Heilung verkauft

Selbstoptimierung ist eine geniale Erfindung: Sie verspricht, das ewige Problem des Menschen zu lösen – seine eigene Unzulänglichkeit. Das Beste daran? Sie löst es nicht. Nie. Stattdessen erschafft sie eine endlose To-Do-Liste für ein besseres Ich, das immer gerade außer Reichweite bleibt.


Der Trick ist einfach: Definiere den Normalzustand als Mangel. Wer sich nicht optimiert, der stagniert. Wer stagniert, der verliert. Und wer verliert, der ist selbst schuld. Aber keine Sorge, Rettung ist nah! In Form von 5 AM-Morgenroutinen, Achtsamkeits-Meditationen zwischen zwei Meetings und Proteinshakes mit Chiasamen für maximale Leistungsfähigkeit.


Work hard, optimize harder

Auch in der Arbeitswelt gilt: Sei nicht du selbst – sei eine Version von dir, die produktiver ist! Dein Chef will nicht hören, dass du müde bist. Er will wissen, ob du schon deine „Deep Work“-Phase optimiert hast. Deine Kollegen fragen nicht nach deinem Wochenende, sondern nach deinem neuesten Habit-Tracking-System. Und wehe, du hast noch nicht „Bullet Journaling“ entdeckt!


Natürlich bleibt das große Versprechen: Wer sich nur genug optimiert, wer seinen Bio-Rhythmus mit Lichtweckern hackt und in 90-Minuten-Zyklen schläft, wird endlich glücklich sein. Aber das Komische ist: Je mehr wir uns verbessern, desto weniger scheinen wir jemals gut genug zu sein.


Das Paradox der Perfektion

Der ironische Twist an der Selbstoptimierung ist, dass sie nicht zu einem besseren Leben führt, sondern nur zu einem besseren Gefühl, dass es noch nicht reicht. Die Latte verschiebt sich mit jedem Erfolg ein Stück höher. Wer sich einmal optimiert, bleibt für immer im Optimierungsmodus gefangen – unfähig, das Hier und Jetzt einfach mal gut sein zu lassen.

Und so bleibt die vielleicht radikalste Form der Selbstoptimierung: einfach mal nichts zu tun. Kein Tracking. Kein Biohacking. Kein Ziele-Manifestieren. Sondern einfach nur sein. Aber Vorsicht! Wer sich dabei ertappt, wie er diesen Moment genießt, könnte feststellen, dass er eigentlich schon längst gut genug war.


Selbstverwirklichung ohne Selbstsabotage – geht das?

Aber Moment. Wenn Selbstoptimierung eine Falle ist – was dann? Laissez-faire in Dauerschleife? Im Jogginganzug auf der Couch das Leben meditieren? Auch nicht schlecht, aber es gibt Alternativen.


Hier ein paar echte Hacks – und keine Angst, sie sind komplett ineffizient:

  1. Mach Dinge, weil du Lust hast, nicht weil sie „sinnvoll“ sind. Kunst, Musik, Gärtnern, Langeweile – völlig nutzlose Dinge haben oft den größten Wert. (Achtung: Sie bringen keine Follower. Bitte vorher überlegen.)

  2. Finde heraus, was dir wichtig ist – nicht, was dir wichtig sein sollte. Willst du wirklich mit einem durchoptimierten Körper sterben? Oder lieber mit Geschichten, die man nicht in eine KPI pressen kann?

  3. Akzeptiere, dass du unperfekt bist – und das immer sein wirst. Perfektion ist ein mathematisches Konzept, kein menschliches. Wer’s nicht glaubt, kann ja mal versuchen, einen perfekten Tag zu erleben. Spoiler: Du wirst es erst merken, wenn er vorbei ist.

  4. Hör auf, dein Leben als Projekt zu betrachten. Kein Lebenslauf hat am Ende die Überschrift „Hat sein Potenzial zu 100 % ausgeschöpft“. Glücklicherweise.

  5. Definiere Erfolg neu. Erfolg ist nicht, alles aus sich rauszupressen. Erfolg ist, so zu leben, dass man sich selbst nicht ständig auf die Nerven geht.


Klingt zu einfach? Vielleicht liegt das Problem genau darin. Selbstverwirklichung beginnt nämlich genau dort, wo Selbstoptimierung aufhört.


Und wer es ausprobiert, wird merken: Man muss sich nicht immer weiter verbessern, um sich endlich gut genug zu fühlen. Manchmal reicht es schon, einfach aufzuhören, sich schlecht zu machen.



 
 

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